Christof Karner,Christian Schweitzer, TGM Wien
 

Sprache im Mathematikunterricht

Kurzzusammenfassung:

Es werden Aspekte der Sprache im Mathematikunterricht und damit zusammenhängende mögliche Probleme dargestellt. Eine Zusammenarbeit Mathematik - Deutsch bringt neue Impulse.

 

"Der Schüler lernt alles, was für seinen Lebensweg unentbehrlich ist - genau die Eigenschaften, die es braucht, um in der Schule durchzukommen: die Kunst zu betrügen, Kenntnisse vorzutäuschen, die man nicht hat ...." B. Brecht

1. Einleitung

Die Idee, dieses Thema näher zu betrachten, bekam ich, als ich Schüler bei der Arbeit mit CAS beobachtete. Einerseits verlangt der Computer exakte Formulierung und Eingaben, andererseits benutzten die Schüler beim gegenseitigen Erklären ungenaue Begriffe und saloppe Formulierungen, daß mir mein einseitig vorgebildetes Mathematikergefühl durcheinander zu kommen drohte. So beschloß ich, der Sache auf den Grund zu gehen. In weiterer Folge entstand auch ein reger Dialog und einige Versuche der fächerübergreifenden Zusammenarbeit mit meinem Germanistik Kollegen Christof Karner.

Bei der Vermittlung mathematischer Inhalte bedient man sich in erster Linie der Sprache. Daher ist es notwendig, sich die Rolle der Sprache und des Sprachgebrauchs im eigenen Unterricht bewußt zu machen. Wir möchten hier keine abgeschlossene Untersuchung über den Sprachgebrauch im Mathematikunterricht vorstellen. Dieser Artikel soll vielmehr eine Anregung sein, die eigene Sprache als Mathematiklehrer ständig zu beobachten und zu hinterfragen, sowie die Sprache und Sprachfähigkeit der Schüler beim Unterricht zu berücksichtigen. Dazu haben wir einige Punkte zusammengeschrieben, die auch in einschlägiger Literatur Erwähnung finden.

Bei näherer Betrachtung der Sprache im Unterricht ergeben sich verschiedene Aspekte:

Kommunikationsmittel

mathematische Fachsprache

Formulierung von Anweisungen und Aufgaben

textorientierte Aufgaben

geschriebene Sprache im Lehrbuch

Beschreibung von Sachverhalten und Zusammenhängen

Sprache der Schüler

Sprache des Lehrers

Grafiken, Zeichnungen und Bilder

Computeralgebra

Die eben angesprochenen Punkte können sicher nicht isoliert voneinander gesehen werden.

"Und welcher Sprache wünschen Sie sich mit mir zu bedienen? - Natürlich derjenigen, die ich Munde führe." Molière

2. Kommunikationsmittel

Als Lehrer verfügen wir beim Lehren und Weitergeben von Wissen über eine Fähigkeit, die durch Bücher und Multimedia nicht übertroffen werden kann: das Sprechen (in Wort und Gestik - vor allem spontan reagierend auf unsere Schüler). Bücher bzw. geschriebene Texte sind dann gut, wenn sie sich an den Leser auf entsprechende Weise wenden können. Dabei ist die Abstimmung zwischen der Sprache und der am Gespräch beteiligten wesentlich, um nicht aneinander vorbeizureden.

Will man im Unterricht auch verstanden werden, muß man berücksichtigen, daß es drei Sprachen sind, mit denen der Schüler konfrontiert wird:

Die Muttersprache, die Sprache des Elternhauses, die Sprache der Umgebung, in der der Schüler aufwächst: Viele Begriffe und Aussagen haben in diesem Zusammenhang oft eine eigene besondere Bedeutung.

Die Sprache in der Schule, die Sprache des Unterrichts und des Lehrers: Sie ist stark von der Persönlichkeit des Lehrers, dem Schulstandort und dem Umgang in der Schule abhängig, wird aber auch von der vorgesetzten Behörde und den Gesetzen beeinflußt.

Die Fachsprache des Wissensgebietes bzw. Unterrichtsgegenstandes, in unserem Fall Mathematik: Sie ist klar definiert und enthält festgelegte Begriffe, Definitionen und Sätze. Die Formulierung von Texten in der Mathematik weist dazu auch eine eigene Grammatik auf. Im Bereich der Didaktik treten auch lokal unterschiedliche Sprachregelungen auf (von der Ausbildung der Lehrer abhängig).

In der gerade getroffenen Einteilung könnte man Muttersprache und Schulsprache als Umgangssprache zusammenfassen. Dieser Umgangssprache bedient man sich im allgemeinen bei der Kommunikation zwischen Menschen - also auch im Unterricht. Besonders wichtig ist es aber, daß man sich dieser drei Sprachformen bewußt ist. Sie wirken in jede Art von Unterricht hinein und unterliegen einer ständigen Veränderung. Will man das Verständnis und das Verstehen der Schüler erreichen, gilt es diese Aspekte zu berücksichtigen.

 "Dennoch glaube ich wahrhaftig, daß die Sprachen der beste Spiegel des menschlichen Geistes sind und daß eine genaue Analyse der Wortbedeutungen uns besser als alles andere die Operationen des Verstandes erkennen lassen." Leibnitz

3. Versuche einer Differenzierung

Für die Sprache im Mathematikunterricht bedient man sich sowohl der Umgangs- als auch der Fachsprache. Der Übergang zwischen beiden Bereichen ist fließend. Viele Begriffe der Fachsprache werden auch umgangssprachlich verwendet. Oft wird man umgangssprachliche Formulierungen verwenden, um den Schülern Begriffe der Fachsprache zu erläutern. Und trotzdem sind auch diese Versuche für viele Schüler unverständlich. Daß dies zum einen Teil an zu wenig mathematischer Begabung liegen kann, ist möglich. Aber es ist auch zum anderen Teil oft nur ein sprachliches Problem, warum der Schüler nicht versteht, was der Lehrer meint.

Es gibt mehrere Versuche, eine systematische Einteilung zu treffen. Dabei muß man sich aber immer bewußt sein, daß die Übergänge zwischen den einzelnen Typen fließend sind. Grundsätzlich steht die reine Fachsprache der Umgangssprache gegenüber.

Man kann zunächst den Wortschatz einteilen:

Fremdwörter: eindeutig definierte Begriffe, oft aus dem Lateinischen oder Griechischen abgeleitet (Abszisse, Exponent, Variable, ...)

Kunstwörter: ebenfalls eindeutig definiert, für bestimmten Zweck in der Mathematik kreiert (Restklasse, Normalteiler, Monom, ...)

Umgangssprachlicher Fachsprachenersatz (oft eingedeutschte Wörter): Begriffe aus der Mathematik sollen dadurch anschaulicher für jene werden, die den Fachausdrücken bzw. exakten Definitionen und Festlegungen (noch) nicht gewachsen sind. Oft werden aber auch Fachausdrücke zusätzlich verwendet, was eine Verdopplung der Begriffe, die gelernt werden müssen, bedeutet. (Hochzahl, malnehmen, Platzhalter, ...) Dabei ist zu beobachten, daß beispielsweise heute in der Volksschule Mathematik betrieben wird und die Kinder addieren lernen, während vor 20 bis 30 Jahren im Gegenstand Rechnen "undgerechnet" haben. Fachausdrücke haben in der Schule verstärkt Einzug gehalten.

Begriffe aus der Umgangssprache mit anderer Bedeutung: Die Schwierigkeit der Schüler liegt hier im Akzeptieren der neuen manchmal unverständlichen Bedeutung. (Bruch, Lösung, Menge, ...)

Begriffe aus der Mathematik, die in die Umgangssprache Eingang gefunden haben: Das Problem bei diesen Wörten liegt in der richtigen umgangssprachlichen Verwendung. So kann man zum Beispiel immerwieder von einem Würfel hören, wenn eigentlich von einem Quader die Rede ist. (Summe, parallel, Kreis, ...)

Eine andere Typisierung unterschiedet zwischen Arbeitsausdrücken und Fachtermini. Während Fachtermini Objekte und Aussagen der Mathematik darstellen, dienen Arbeitsausdrücke als Hiilfsmittel für den Unterricht und sollen zum Verständnis beitragen. Diese methodisch didaktischen Ausdrücke müssen unmittelbar aus dem Zusammenhang im Unterricht verstanden werden. Die Schüler sollen keine langen Erarbeitungsphasen zum Begreifen dieser Ausdrücke brauchen und können diese Hilfsmittel auch wieder vergessen. Wichtig ist die Unterscheidung zu den Fachausdrücken, die eine klare mathematische Bedeutung haben.

 4. Geschriebenes Wort

Im Laufe des Mathematikunterichts kommen die Schüler mit mathematischen Texten in Berührung. Dabei wird dem Schulbuch sicher die größte Bedeutung zukommen. Der häufigste Einsatz des Schulbuches ist jener als Aufgabensammlung. Zum Nachschlagen des Lehrstoffes und von Begriffen für Wiederholungen und das Lösen von Aufgaben wird es von den Schülern in zweiter Linie - wenn auch in sehr geringem Maße - verwendet. Viele haben große Schwierigkeiten, sich an Hand eines Buches mathematisches Wissen anzueignen oder zu vertiefen. Die Sprache und damit der Inhalt des Buches ist oft von straffer Formulierung und strenger Systematik geprägt. Für die Textgestaltung sollten folgende Merkmale beachtet werden:

Einfachheit: leichte Verständlichkeit, schülergemäße Sprache, konkret, kurze, einfache Sätze, geläufige Wörter, erklärte Fachausdrücke. Es ist jedoch möglich, daß die Wissenschaftlichkeit der Mathematik unter dieser Forderung leidet. Daher ist es angebracht, ein Mittelmaß zu finden.

Gliederung: übersichtlicher folgerichtiger Aufbau, roter Faden, Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem, Querverbindungen herstellen, Strukturierung, Zusammenfassungen, Suchhilfen (Inhaltsverzeichnis, Stichwortverzeichnis)

Prägnanz: auf das Wesentliche beschränkter Inhalt und Formulierungen - auch hier liegt das Optimum in der Mitte: zu lange oder zu kurze Texte erschweren das Verständnis.

zusätzliche Stimulans: Das gedruckte Werk soll anregend, abwechslungsreich und interessant gestaltet sein. Dem Schüler soll das Gefühl vermittelt werden, persönlich angesprochen zu werden. Grafiken und Bilder erleichtern das Verständnis. Die Verwendung von Farben und Icons bieten Orientierungshilfen. Allerdings gilt auch hier: zu viel wirkt leicht verwirrend.

Beispiele und Anwendungen: Gerade in der HTL Mathematik ist die Anwendung ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts. Daher sollten entsprechende Beispiele im Buch anschaulich klar strukturiert sein. Wenn das Problem den Schülern "unter den Fingern brennt", wirken solche Aufgaben zusätzlich motivierend.
 
5. Aufgabenformulierungen:

Man kann Aufgaben in der Mathematik in zwei Typen einteilen:

Rein mathematische Aufgaben: Die Aufgabe liegt in mathematischer Formulierung vor und soll gelöst werden. Viele Aufgaben in Schulbüchern zielen auf das mechanische Anwenden von Algorithmen. Eingeleitet mit Worten wie Löse!, Vereinfache! oder Berechne! sind dies Kolonnen von Rechenaufgaben, bei denen sich oft nur Zahlen oder Variablenbezeichnungen ändern.

In vielen Aufforderungen steckt auch oft ein Hinweis für den Schüler, wie eine Lösung zu erreichen ist. Die Verwendung von Computeralgebra läßt diese Art von Aufgaben überflüssig erscheinen. Der Computer oder Taschenrechner beherrscht ja all diese Umformungen und Lösungsstrategien. Auf der anderen Seite wird dem Computer selbst zu einem algebraischen Ausdruck eine Anweisung in dieser Art gegeben: Solve, Simplify, Expand, ... Die Verwendung eines CAS in Mathematikunterricht legt es nahe, diese Ausdrücke und Anweisungen an den Cmputer mit den Schülern näher zu untersuchen und zu diskutieren: Was heißt "Vereinfachen"? Was bedeutet "Lösen"?

Beim Arbeiten mit dem Computer müssen Aktivitäten und Ergebnisse verstärkt vom Schüler reflektiert werden. Eine genauere Planung der Arbeit und die Trennung von Vorbereitung und Ausführung am Computer erscheint bald notwendig. Englische Programme geben darüberhinaus die Möglichkeit, auch englische Mathematikfachausdrücke zu erlernen, was für das Verstehen von Literatur eine Erleichterung bringt. Aber auch im Deutschen verwendete Fachtermini werden erst nach erfolgter Übersetzung besser verstanden

Eine weitere Möglichkeit ist, den Schülern algebraische Ausdrücke und Geichungen zu geben und eine Aufgabenstellung formulieren zu lassen, die sie dann lösen. (Beispiel: Es ist eine Arbeitsanweisung anzugeben und die Aufgabe zu bearbeiten: x(x-20)=2(72-10x) ).

Auch eine Partnerarbeit ist möglich: ein Schüler formuliert eine Arbeitsanweisung, der andere löst die Aufgabe entsprechend dieser Anweisung, und anschließend diskutieren beide über die Lösung.

Textaufgaben und Anwendungsbeispiele: Hier liegt das Problem für den Schüler vor allem darin, eine mathematische Formulierung zu finden, auf die er dann eine geeignete Lösungsmethode anwenden muß. Diese Aufgaben, in unserem Schultyp im besonderen Anwendungsbeispiele, sollen die Schüler motivieren, den Lehrstoff anzuwenden und einzuüben, das Erreichen von Lernzielen überprüfen zu helfen und die Verbindung zu den technischen Gegenständen herzustellen. Sie kann und soll den Schülern auch Spaß machen dürfen (Nebenbemerkung: In einer Studie der Universität Salzburg wurde als wichtigstes Lebensmotto der Jugend der 90er Jahre "Es soll Spaß machen" angegeben. Ich habe diese Beobachtung auch bei meinen Schülern gemacht. Man kann nun als Lehrer bezüglich dieser Lebenseinstellung moralisieren oder sich und seinen Unterricht darauf einstellen).

Vom Schüler sind bei diesen Aufgaben folgende Fähigkeiten gefordert: Analyse der Problemstellung, Erkennen und Darstellung von Zusammenhängen und Strukturen, Abstrahieren und Verallgemeinern, geeignete Algorithmen und Lösungsstrategien anwenden, mathematische Lösungen im Hinblick auf die Aufgabenstellung interpretieren, Überlegungen zur Genauigkeit in bezug auf die Angabe bei Verwednung von Näherungsalgorithmen.

Damit der Schüler diese Punkte erfüllen kann, muß er die Aufgabe verstehen. Er muß die Fremd- und Fachausdrücke kennen, aus der sprachlichen Formulierung mathematische Strukturen herauslesen können und die richtigen Lösungsansätze finden. Anwendungsbeispiele, die möglichst praxisnah sein sollen, enthalten oft auch Informationen, die redundant sind oder für die Lösung des Problems nicht benötigt werden. Es ist aber manchmal auch notwendig, zusätzliche Informationen zu besorgen. Die Fachzeitschriften oder Bücher, die diese liefern, müssen in Bibliotheken gefunden und dann auch verstanden werden.

Versteht ein Schüler die Aufgabe nicht, so wirkt das demotivierend und frustrierend, und das soll sicher nicht das Ziel des Unterrichts sein. Für die Formulierung von Aufgabentexten sollen daher die gleichen Regeln gelten, die schon bei der Behandlung der Sprache im Schulbuch im vorigen Abschnitt besprochen wurden. Weiters sollen Aufgabenstellngen so offen sein, daß der Schüler zu weiteren Fragen angeregt wird. Der Text soll nicht einengen und die Lösung nicht vorwegnehmen.

Als Ingenieur ist man oft in der Situation, Berichte über technische Aufgabenstellungen anzufertigen und deren Lösungen zu erstellen, und zwar in schriftlicher Form oder als Vortrag vor Firmenangehörigen. Dabei ist es auch notwendig, nicht nur fachlich einwandfrei und sicher zu berichten und Kompetenz zu beweisen, sondern z.B.: bei Verkaufsvorträgen auch Überzeugungsarbeit zu leisten. Fachliche Kompetenz und sprachliche Sicherheit sind dafür Voraussetzung. Weiters gibt es für das Verfassen von technischen Berichten Richtlinien und Normen. Veröffentlichungen aus Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Verwaltung unterliegen Gestaltung von Manuskripten und Typoskripten, Gestaltung von Reinschriften, ...

Zeichnung als Sprache des Technikers, muß in der Lage sein, einem Nichttechniker zu erklären, was in der Zeichnung zu sehen ist, was wie gemeint ist

6. Neue Möglichkeiten in der Zusammenarbeit mit Deutsch

Die in diesem Beitrag angesprochenen Aspekte der Sprache im Mathematikunterricht sind sicher nicht vollständig und auch nicht besonders systematisiert. Vielleicht regen sie aber an, die eigene Sprache im Unterricht ständig zu reflektieren und eventuell auch Experimente durchzuführen. Eines dieser Experimente könnte eine engere Zusammenarbeit mit dem Unterrichtsgegenstand Deutsch sein. Dazu zwei Beispiele:

Beschreibung von Grafiken

Im Zusammenhang mit der Vorführung der Berg und Talbahn im Unterricht eines 3. Jahrganges bekamen die Schüler im Anschluß ein Arbeitsblatt. Sie sollten die Weg Zeit, Geschwindigkeit-Zeit und Beschleunigung Zeit Diagramme erarbeiten und grafisch darstellen (einige mit PC Unterstützung). Dazu waren 6 Fragen über die Gestalt bzw. die Bedeutung einiger Besonderheiten der Funktionskurven in Zusammenhang mit der Bewegung des Waggons zu beantworten.

1. Woran erkennt man im Weg-Zeit-Diagramm, daß die Geschwindigkeit größer bzw. kleiner wird?

2. Woran erkennt man im Beschleunigung-Zeit-Diagramm, daß die Geschwindigkeit einen momentanen Maximal- bzw. Minimalwert erreicht hat?

3. Welche Bedeutung hat es für den Bewegungsablauf, wenn die Beschleunigung negativ wird?

4. Wie kann man im Weg-Zeit-Diagramm erkennen, daß die Beschleunigung negativ bzw. positiv ist?

5. Wie kann man im Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm erkennen, daß die Beschleunigung negativ bzw. positiv ist?

6. Aus dem ersten Jahrgang wissen wir: Der Flächeninhalt unter der Kurve im Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm entspricht dem, bis zu dem entsprechenden Zeitpunkt, zurückgelegten ......... . Der Flächeninhalt unter der Kurve im Beschleunigung-Zeit-Diagramm entspricht der momentanen .................................. . Ist das aus den gezeichneten Diagrammen auch zu erkennen?

Die Antworten fielen sehr kurz aus, oft wurde nur ein einzigens Wort angegeben. Keine Frage wurde ausführlich mit einem oder mehreren Sätzen beantwortet.

Einige Zeit später wurde in Deutsch eine ähnliche Aufgabe (ohne detaillierte Fragen) mit den gleichen Funktionskurven gestellt. Hier waren die Beschreibungen der Schüler viel ausführlicher und von der Sprache her richtig. Aber es traten grobe Mängel in der Verwendung der Fachwörter und in der eindeutigen und exakten Ausdrucksweise auf.

Grundsätzlich waren die Antworten in Mathematik richtig, wenn auch zu wenig ausführlich und daher mehrdeutig. In Deutsch war die Beschreibung zwar ausführlich aber großteils falsch (was bei der Beurteilung in Deutsch nicht berücksichtigt wurde und der Schüler den Eindruck hat, es ist alles in Ordnung. Ist es auch - von der Sprache her, aber nicht inhaltlich.)

Homonymie und Satzgestaltung

"Der Läufer liegt auf dem Boden." "Die Verfolgung der Soldaten dauerte Stunden."

Diese beiden oftmals zitierten Beispiele sprechen einen besonderen sprachlichen Problemfall an: Ein Wort, aber mehrere Bedeutungen.

Die Linguistik bezeichnet diese Erscheinung als Homonymie. Ein Homonym ist ein Wort, das mit einem anderen gleich lautet, den gleichen Wortkörper hat, aber in der Bedeutung verschieden ist. Dies entscheidet dann auch über den semantischen Gehalt eines Satzes oder mehrerer Sätze. Im Deutschunterricht tritt dieses Problem nicht so kraß auf, da die Aufgabenstellungen meist in einem umfangreicheren Kontext bewältigt werden, aus dem sich die Wort- oder Satzbedeutung mehr oder weniger eindeutig ergibt. Erst der Zusammenhang macht klar, ob mit dem Wort "Läufer" der Sportler, die Schachfigur oder der Teppich gemeint ist.

Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, daß diese Erscheinung in Disziplinen, die eine absolute Formulierungsgenauigkeit fordern, zum Problem werden kann, zumal die damit einhergehende Sprachverknappung noch ein übriges dazu tut. Leider ist die Homonymie nicht die einzige sprachliche Schwierigkeit, die Schüler und Lehrende bewältigen müssen.

Kollege Schweitzer hat schon ausführlich die unterschiedlichsten Bereiche der Sprache im Mathematikunterricht dargestellt.

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Beispiel erwähnen, das die Schwierigkeit, eine exakte und doch verständliche Sprache zu verwenden, dokumentiert.

Die Schüler eines 4. Jahrganges hatten folgendes Mathematikbeispiel zu lösen:

Aus einer laufenden Fertigung wurde eine Stichprobe von kleinen Federn entnommen und einer Kraftmessung unterzogen. Die Federkräfte sind als normalverteilt bekannt. Die Auswertung ergab neben dem Mittelwert eine Standardabweichung von s = 1,2 N. Die Breite des zweiseitigen Vertrauensbereiches für die mittlere Federkraft bei dieser Fertigung ergab sich mit dem Vertrauensniveau 1-a = 0,99 zu 0,7 N. Demnach hatte die ausgewertete Stichprobe etwa den

folgenden Umfang: a) 70 Federn b) 82 Federn c) 93 Federn d) 119 Federn?

Besonders der vorletzte Satz (unterstrichen) stieß bei den Schülern auf große Verständnisschwierigkeiten. Zunächs sei positiv anzumerken, daß bei diesem Text der Versuch gemacht wurde, Schachtelsätze zu vermeiden und einfache Aussagesätze zu bilden. Das Problem ist, daß man dabei der Versuchung erliegt, möglichst viel Information in einem Hauptsatz zu verpacken. Genau hier liegt im vorletzten Satz des Textbeispiels "der Hund begraben". Das Prädikat (in unserem Fall das Wort "ergab") müßte, will man der Satzgrammatik Genüge tun, an der "zweiten Stelle" des Satzes stehen.

Die Verständlichkeit des Satzes leidet weiters an einer zu umfangreichen und verschachtelten Attributverwendung ("Attribut im Attribut"), sodaß für viele Schüler das eigentliche Kernwort nicht mehr erkennbar.

Dazu kommt noch ein spezielles semantisches Problem, das sich aus der Formulierung "Die Breite des zweiseitigen Vertauensbereiches" ergibt. Während der Bergiff "Vertauensbereich" mathematisch genau definiert ist, trägt das Wort "Breite" in diesem Zusammenhang zur Verunsicherung oder gar Verwirrung bei.

Ich kann mir als Deutschlehrer nicht anmaßen, allgemein gültige Lösungsvorschläge anzubieten. Ich ermuntere aber alle DeutschlehrerInnen, unbedingt die Zusammenarbeit mit den betroffenen KollegInnen aus den naturwissenschaftlichen Fächern zu suchen.

Dies nicht nur, weil gemeinsam am ehesten brauchbare Lösungen gesucht und gefunden werden können, sondern auch deshalb, weil sich für die Deutschlehrerin/den Deutschlehrer ein neues, interessantes Betätigungsfeld eröffnet.

Literatur

Der Mathematikunterricht, Jahrgang 40, Heft 5, September 1994, Erhard Friedrich Verlag

Baruk, Stella: Wie alt ist der Kapitän?, Birkhäuser 1989