Neue Wege in der Leistungsbeurteilung? |
Zum Inhalt dieses Artikels
Seit 1992 werden in den AMMU-Aussendungen die verschiedensten Vorschläge zum computerunterstützten Arbeiten im Mathematikunterricht vorgestellt und diskutiert. Seither haben sicher viele Kolleginnen und Kollegen das eine oder andere "probiert". Peter SCHÜLLER hat bereits in der 1. AMMU-Aussendung unter dem Titel "Moderne Medien im Mathematikunterricht" deren Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der Schulmathematik - angefangen vom Lehrplan bis zur Leistungsbeurteilung - angesprochen und diskutiert. Viele der dort prophetisch anmutenden Vorstellungen sind bereits oder fast Realität geworden. Da begreiflicherweise damals noch keine Erfahrungen im Hinblick auf die Leistungsbeurteilung vorlagen, wurde bezüglich Prüfungsgestaltung auf später zu erscheinende Beiträge verwiesen. Dieser Artikel soll nun einen ersten Einstieg in dieses Problem aus meiner ganz persönlichen Sicht bieten. Ihm liegen die Erfahrungen zu Grunde, die ich im Schuljahr 1994/95 an der HTBL Saalfelden mit einem 3. Jahrgang Elektrotechnik machen konnte. Es geht dabei um den Versuch, eine der 4 Schularbeiten des Jahrganges computerunterstützt durchzuführen - und was daraus geworden ist.
Die einleitenden allgemeinen Überlegungen sollen den größeren Zusammenhang vermitteln, unter dem ich das dann durchgeführte Experiment gesehen habe.
1. Problemstellung
Die Situation ist nicht ganz neu - sie ist wohl in ähnlicher Form bereits bei der Einführung des Taschenrechners aufgetreten: mappenweise angehäuftes Beispielmaterial samt Lösungen, das Generationen von Schülern als das "Wesentliche, das ein Schüler unbedingt beherrschen muß" hingestellt wurde. Soll das alles nicht mehr seine Gültigkeit haben ?
Ein wenig konkreter: Ein Schüler des ersten Jahrganges einer HTL wurde im Mathematikunterricht bisher daran gemessen, ob er auch noch so "wilde" Formelumwandlungen traumwandlerisch sicher lösen kann. Der Schüler des zweiten Jahrganges hatte logarithmische Gleichungen und Exponentialgleichungen - auch unter Zuhilfenahme diverser "Schmähs" - aufzulösen, und im dritten Jahr-gang mußte zumindest bei der sogenannten Entscheidungsprüfung zwischen "Sein oder Nichtsein" der Nachweis erbracht werden, daß eine Kurvendiskussion und eine partielle Integration ohne größere Probleme "heruntergerechnet" werden können. Mit anderen Worten: In erster Linie wurden (und werden) gewisse "automatisierbare" Fertigkeiten überprüft. In manchen Fällen hat eine Überbetonung dieser Linie zu jener unseligen "Kochrezeptmathematik" geführt, die manchmal (hoffentlich fälschlicherweise) als "typische HTL-Mathematik" hingestellt wird.
In dieser Situation ist nun plötzlich die "Computermathematik"
über uns hereingebrochen - gemeint sind damit insbesondere die diversen
Computeralgebrasysteme (CAS ) wie beispielsweise Derive, Mathematica oder
Mathcad. Nun, viele engagierte Lehrer haben sich darauf gestürzt und
sich in mühsamer Arbeit oder auf Seminaren das notwendige Rüstzeug
geholt, um damit umgehen zu können. Damit erfuhren aber auch die Schüler
von den "sagenhaften" Möglichkeiten der CAS-Systeme, obwohl in den
meisten Fällen bisher wohl der Demonstrationscharakter (z.B.: Skizze
einer Funktion, Veranschaulichung von Taylor-Reihen usw.) im Vordergrund
stand. Doch einige Lehrer preschten vor und zeigten Kollegen und Schülern,
daß hinter CAS-Systemen noch viel mehr Möglichkeiten stecken:
Schwierige bzw. umfangreiche Rechengänge lassen sich nun mehr oder
weniger im Handumdrehen lösen. Eine (wegen Kettenregel plus Bruchregel)
komplizierte Kurven-diskussion verkümmert weitgehend zu einem Tasten-Algorithmus.
Viele Schularbeitsaufgaben, die z.B. kleine Tricks beim "günstigen"
Zusammenfassen und Auflösen einer Gleichung erfordern, verkommen am
Computer zu langweiligen 08-15-Aufgaben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt
stellt man sich nun bange Fragen:
2. Neue Lehrinhalte :
Als der Taschenrechner den Rechenschieber ablöste, war dies über kurz oder lang auch mit einer (leichten) Änderung von mathematischen Inhalten verbunden, andere Inhalte bekamen einen neuen Sinn (z.B. Überschlagsrechnungen). Der Taschenrechner eröffnete neue Möglichkeiten:
Analoge Entwicklungen sind mit der Einführung von CAS-Systemen zu erwarten bzw. zum Teil schon eingetreten. Der neue Lehrplanentwurf für die HTL-Mathematik (siehe Aussendung von Peter SCHÜLLER vom März 1995 an alle an HTLs unterrichtenden AMMU-Mitglieder) versucht bereits in einer behutsamen Form auf die neuen Gegebenheiten zu reagieren, was besonders deutlich wird, wenn man ihn in der Formulierung mit den bisherigen Lehrplänen vergleicht. Diskreten Methoden in der Mathematik und grundlegenden Ideen wird deutlich mehr Raum gegeben. Gewisse Begriffe, die sich bloß auf traditionelle Aufgabengruppen beziehen (z.B: "Kurvendiskussion", "Logarithmusgleichungen") sind als explizite Themenangaben überhaupt gestrichen worden.
Da in Österreich jedoch bekanntlich die Lehrbücher den "geheimen Lehrplan" darstellen, darf man gespannt sein, wie hier auf die neuen Gegebenheiten reagiert wird. Die bereits derzeit zu beobachtende Entwicklung im AHS- und BHS-Bereich läßt sich vereinfacht so zusammenfassen: Der bisherige "Beispielkanon" wird im wesentlichen beibehalten, jedoch werden parallel zu den herkömmlichen Lösungen auch Lösungen mittels CAS-System angeboten.
Ich halte diese Entwicklung für unbefriedigend. Den neuen Möglichkeiten sollte auch mit neuen, praxisnäheren Aufgabenstellungen und mit neuen Inhalten Rechnung getragen werden.
Beispiele :
Mit der absehbaren Einführung von CAS-fähigen Taschenrechnern wird (zumindest in den höheren Jahrgängen) ein völliges Umdenken beim Zusammenstellen von Schularbeitsaufgaben einhergehen müssen. Zunächst wird man sich aber die Frage stellen, was bzw. welche Fertigkeiten überhaupt überprüft werden sollen und können. Natürlich ist es bis zu einem gewissen Grad möglich, herkömmliche Beispiele als Ausgangspunkt für Fragestellungen zu benützen, die sinnvoll die Verwendung eines CAS-Systems bedingen.
Jedoch bleibt dabei ein unbefriedigendes Gefühl zurück:
4. Ein "Projekt" als Ersatz für eine Schularbeit ?
Wie einleitend bereits angeführt, habe ich im Schuljahr 1994/95 einen 3. Jahrgang Elektrotechnik (20 Schüler) unterrichtet. Zu erwähnen ist, daß die Schüler schon ab dem 1. Jahrgang kleine Referate zu den verschiedensten Themen hielten - so ähnlich, wie dies Christian SCHWEITZER in AMMU-4, Beitrag 1 ("Anwendungsbeispiele im Mathematikunterricht"), bereits ausführlich dargestellt hat.
Bereits im 2. Jahrgang wurde manchmal der Unterricht im EDV-Raum unter Verwendung von DERIVE (2 Schüler pro PC) durchgeführt. Im 1. Semester des 3. Jahrganges wurde weitgehend "herkömmlich" die Differential- und Integralrechnung unterrichtet (abgesehen von einigen Demonstrationen mit dem tragbaren Laptop + Overhead-Display). Im 2. Semester sollten zunächst einige Anwendungen und die Umsetzung in DERIVE im Vordergrund stehen. Die 3. Schularbeit wollte ich daher im EDV-Raum durchführen.
Dies erwies sich organisatorisch allerdings nur schwer durchführbar. Ich hätte die Schularbeit zwei-teilen müssen (zeitlich und räumlich zwei einander abwechselnde Gruppen), da nicht genügend PCs in einem Raum vorhanden waren. Außerdem hatte ich vor, verschiedene Anwendungen der Differential- und Integralrechnung in Form von Referaten behandeln zu lassen. Dies führte schließlich zur Idee, statt der 3.Schularbeit kleine Mathematik-Projekte samt schriftlicher Ausarbeitung und Präsentation durchzuführen.
Mein Vorschlag wurde von der ganzen Klasse positiv aufgenommen (wahrscheinlich hing dies auch damit zusammen, daß die Schüler sich eine "DERIVE-Schularbeit" am PC nur schwer vorstellen konnten). Es wurde vereinbart, daß es während der Laufzeit der Projekte keine Hausübungen geben sollte, dafür mußten die schriftliche Ausarbeitung der Projekte und andere ergänzende Arbeiten in der Freizeit erfolgen.
5. Die Durchführung des Projektes :
Ich machte die unten angeführten Themenvorschläge und stellte die angegebene Literatur zur Verfügung. (Anzumerken ist, daß ich teilweise Artikel aus der AMMU-Zeitschrift zur Verfügung stellte, die vollständigen Lösungsprotokolle, die meist im Anhang der Beiträge zu finden sind, jedoch nicht dazugegben habe - daher war stets eine wirklich eigenständige Arbeit (zumindest) am Computer erforderlich!) Meist wurden die Themen an 2 Schüler vergeben, die sich selbständig eine weitere Aufgabenteilung überlegen mußten. In begründeten Einzelfällen haben manche Schüler allein ein Thema bearbeitet.
Anforderungen: Jedes Projekt soll schriftlich ausgearbeitet werden und aus einem "allgemeinen" Teil und der Umsetzung am Computer (DERIVE-Programm bzw. EXCEL-Arbeitsblatt) bestehen. Jedes der Themen wird im Ausmaß von einer Unterrichtsstunde von der jeweiligen Arbeitsgruppe präsentiert, wobei jeder Schüler sowohl einen theoretischen Teil auf der Tafel als auch einen praktischen Teil am Computer (Overheaddisplay) vorführen soll. In Gestaltung, Beispielauswahl und Umsetzung am Computer haben die Schüler im Prinzip freie Hand, können sich aber mit mir beraten.
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Parameterform, Polarkoordinatendarstellung;
(Ableiten und Integrieren) |
Schärf: Mathematik 3
Kleine Enzyklopädie Mathematik |
Berechnung von Bogenlängen und Mantelflächen (Rektifikation, Komplanation) | Schärf: Mathematik 3
Kleine Enzyklopädie Mathematik |
Krümmung, Krümmungskreis, Evolventen
und Evoluten
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Schärf: Mathematik 3
Kleine Enzyklopädie Mathematik AMMU-Beitrag [2]-3 |
Spiralen
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Schärf: Mathematik 3
Kleine Enzyklopädie Mathematik |
Wankelmotor | AMMU-Artikel [5]-1 |
Statische Momente - Schwerpunktsberech-nungen (Problemstellung aus dem Bereich der Fuzzy-Logik) | Schärf: Mathematik 3
Kleine Enzyklopädie Mathematik |
Stichprobensysteme: Berechnungen der Operationscharakteristik (OC) und der p90/p10-Tabellen; Durchschlupf und maximaler Durchschlupf | DGQ-Mappe: Stichprobensysteme |
Einfache Differenzengleichungen
und ihre Lösung mittels EXCEL |
AMMU-Artikel [3]-2 und [4]-7
Programmierbuch BASIC (Räuber-Beute-Modell ) |
Unterhaltungsmathematik:
"Flügellahme Fliege" ; "Der Terrier und die Rechtecks- bzw. Kreiskompanie |
Gloisten: Mathematische Unterhaltungen und Spiele |
Kurvendiskussionen mit Derive:
Trägerberechnung Gedämpfte Sinusschwingung |
Schärf: Mathematik 3 |
Das elektrotechnische Paradoxon | Krikava, Band 2 |
Kurbelzapfengetriebe | Brauch : Mathematik für Ingenieure |
Pfandflaschensysteme - die geometrische Verteilung | Unterlagen von einem DERIVE-Seminar in Deutschland |
Während dieser Zeit (1 Woche = 4 Unterrichtseinheiten) arbeiteten die Schüler in der Klasse (Literaturstudium) oder im Computerraum, ich stand als Auskunftsperson bzw. für Anfragen und Hilfestellungen zur Verfügung. Für die meisten Schüler reichte die Zeit aus, ihre Projekte in groben Zügen (abgesehen von der Dokumentation) fertigzustellen.
6.- 18.Stunde : Präsentation der Projekte
Diese gestalteten die Schülern recht unterschiedlich. In den meisten Fällen wurden zunächst theoretische Zusammenhänge an der Tafel oder am Overhead-Projektor erläutert (wobei ich darauf Wert legte, daß dies in freier Form geschah, also kein "Abmalen" von den Unterlagen ), manchmal wurden einfache Beispiele auf der Tafel vorgerechnet (manche Referenten holten sich dazu Schüler aus der Klasse). Anschließend erfolgte die Demonstration von Beispielen bzw. diverser Berechnungen am Computer (Laptop mit Overheaddisplay in der Klasse). Ich habe darauf geachtet, bei jedem Referenten zumindest eine mir wesentlich erscheinende Zwischenfrage zu stellen, um seine Sattelfestigkeit zu überprüfen - manchmal wurde mir das durch die zuhörenden Schüler abgenommen. Jeder Schüler erhielt vom jeweiligen Referenten eine kurze Zusammenfassung des Projektes, fallweise wurde noch manches ins Heft dazugeschrieben.
Die Aufmerksamkeit der zuhörenden Schüler war beachtlich, einige Schüler hatten sich für ihre Projektpräsentationen auch Überraschungen ausgedacht. So organisierte sich zum Beispiel der Schüler mit dem Projekt "Wankelmotor" ohne meinem Wissen einen richtigen Wankelmotor als Demonstrationsobjekt.
Zu meiner Überraschung war dann die Notengebung kaum mehr ein Problem, sie ergab sich im Vergleich der Arbeiten fast von selbst; auch die Befürchtung, daß keine sinnvolle Differenzierung möglich sei, erwies sich als unbegründet. Es wurde die gesamte Notenskala ausgenützt, was auf den ersten Blick vielleicht überraschend ist.
Die Ergebnisse :
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Fall 2 : Das Thema lautete in diesem Fall "Berechnung der Bogenlängen von Kurvenstücken (Rektifikation)". Der Schüler war nicht sonderlich gut vorbereitet, die wesentlichen Teile wurden jedoch richtig erklärt. Allerdings gab er trotz Aufforderung (Nachtermin) nur eine völlig unzureichende Dokumentation seines Projektes ab - auch die computermäßige Umsetzung in DERIVE entsprach trotz Hilfestellung meinerseits während der Vorbereitungszeit nicht meinen Vorstellungen (keine Parameterübergaben !). (Der Schüler führte gegen Schulschluß allerdings ein zweites Projekt durch, um sich die Note auszubessern )
Fall 3 : Der Schüler hatte die Aufgabenstellung "Zykloide" gewählt,
erklärte sich jedoch trotz meines Entgegenkommens (Nachtermin) nicht
in der Lage, sein Projekt präsentieren bzw. irgendwelche Unterlagen
abgeben zu können. (Das war so ähnlich wie die Abgabe eines
leeren Heftes bei der Schularbeit.)
8. Literaturverzeichnis:
Die hier angeführten Titel sind jene Bücher, die neben verschiedenen AMMU-Artikeln als Literatur für die Projektarbeiten verwendet wurden.
[1] SCHÄRF: Mathematik 3, Oldenbourg Verlag Wien 1988.
[2] BRAUCH/DREYER/HAACKE: Mathematik für Ingenieure, Teubner Verlag
1991.
[3] GELLERT u.a.: Kleine Enzyklopädie Mathematik, VEB Leipzig
1977.
[4] GLOISTEHN: Mathematische Unterhaltungen und Spiele mit dem programmierbaren
Taschenrechner, Vieweg, 1981.
[5] KRIKAVA/RUHSWURM/SEISER: Grundlagen der Elektrotechnik (Band 2),
Oldenbourg Verlag Wien.
[6] FRANZKOWSKY: Stichprobensysteme (Lehrgang der Deutschen Gesellschaft
für Qualität)
[7] HÖRHAGER/PARTOLL: Problemlösungen mit Mathcad für
Windows, Addison-Wesley 1995.